Die Hauptfigur des Romans ist der Informatiker Ludwig Pfahl, der zunächst allein, später zusammen mit einem internationalen Forscherteam an einem Computersystem arbeitet, das eine Form von künstlicher Intelligenz hervorbringen soll.

Je näher er diesem Ziel kommt, umso fremder wird er sich selbst.

Einmal beschreibt er das System, das inzwischen den Namen KAIRA erhalten hat, folgendermaßen:

Der Laie stellt sich das Internet vor als das, was Google ihm zeigt. Aber es ist erheblich größer und dichter. Wir haben im Laufe der letzten 100 Jahre quasi eine neue Atmosphäre um den Erdball herum aufgebaut. Eine immaterielle, aus elektromagnetischen Feldern bestehende Atmosphäre, in der seit einigen wenigen Jahrzehnten ein digitales Abbild unserer materiellen Lebenswelt entsteht. Der Detailreichtum dieses Abbilds nimmt von Sekunde zu Sekunde zu und diese Quasi-Atmosphäre ist mittlerweile so dicht, dass darin eine neue Art von Wesen entstehen und existieren kann. Es ist natürlich kein Wesen aus Fleisch und Blut, aber stellen Sie sich vor, so wie Sie sich am Leben erhalten, indem Sie mit jedem Atemzug aus der materiellen Atmosphäre den Sauerstoff herausfiltern, so atmet dieses Wesen die Informationen aus der elektromagnetischen Atmosphäre heraus. So ein Ding ist die KAIRA. Sie ist nicht auf primäre Zugänge zu Kameras oder sonstigen Sensoren angewiesen. Sie schwimmt wie ein Fisch in der Datenatmosphäre und macht 80 Milliarden Atemzüge pro Sekunde.“

In der Figur Bruno Lessmeisters tritt ein weiterer Akteur auf den Plan, der mit dieser ausgereiften technischen Intelligenz eine sehr weit gehende Vision verbindet: 12 dieser Supersysteme sollen über ein dem Menschen absolut unentschlüsselbares Protokoll miteinander vernetzt werden. Warum Zwölf? – „Die Zwölf kommt aus einer Welt, in der man nichts von Künstlicher Intelligenz, dafür aber sehr viel über Götter weiß. Zwölf Stämme machen einen Gott, zwölf Apostel machen Gottes Sohn. Das ist die alte Zwölf. Wir bauen jetzt eine neue Zwölf. Zwölf KAIRAs vereinen sich zu einem neuen Chor der Engel. Sie lobpreisen einen Gott, von dem noch niemand etwas weiß. Und wir alle – allen voran Sie, Herr Pfahl – sind die Hebammen dieser neuen Gottheit.“

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Der Chor der Zwölf
Roman,
Conte-Verlag, St. Ingbert, 2017

Der Chor der Zwölf ist keine Science-Fiction, keine dunkle Dystopie, sondern ein Spiel mit dem, was bereits geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Schaffung einer Atmosphäre aus Daten, die sich wie eine immaterielle Kopie unserer Wirklichkeit über die Welt gelegt hat.
Andreas Dury erzählt davon literarisch und auch für den informatischen Laien verständlich im unaufgeregten Ton eines besonnenen Wissenschaftlers, dem auch die Metaphysik nicht fremd ist.
Der Chor der Zwölf ist ein kluger Roman, in dem man über den menschlichen Geist ebenso viel erfährt wie über die künstliche Intelligenz.

Maik Brüggemeyer