Auszug aus „Oh Tapirtier“
(Fetzner ist von Haus aus Politologe. In den 80gern war er eine illustre Figur in der linksautonomen Szene. Ende der 90ger Jahre arbeitete er eine zeitlang in Ostafrika. Hier erzählt er ein Ereignis aus dieser Zeit)
Ich hatte damals noch so etwas wie wissenschaftlichen Ehrgeiz und schrieb an einem Aufsatz über Internationale Gerichtshöfe. Als ich erfuhr, dass von der UNO ein solcher Internationaler Gerichtshof zur Untersuchung des Völkermords in Ruanda eingerichtet wurde, wollte ich da unbedingt hin – nach Arusha, Tansania, wo er im neu gebauten Conference Center seinen Sitz haben sollte. Ich wusste aber nicht so recht, wie ich die Sache anpacken, bei wem und auf was für eine Stelle ich mich bewerben könnte. Da bekam ich zufällig einen gewissen Mister Spears ans Telefon. Er war ein englischer Polizist, der das Conference Center in Sicherheitsfragen beriet. Ich entschuldigte mich, offenbar hatte ich mich verwählt, aber er fragte mich nach meinem Anliegen. Nachdem ich es ihm erzählt hatte, meinte er, bei ihm könne ich sofort anfangen. Die Aufgaben in Mister Spears’ Abteilung reichten von der Begleitung der Sachverständigen an die Orte des Geschehens, über den Fahrdienst für die vielen Experten, die hier aus allen Ländern der Erde zusammenkamen, bis hin zur Gebäudesicherheit. Ohne Zögern nahm ich an.
Ich bekam ein kleines Sicherheitstraining und dann fuhr ich als Beifahrer bei den Begleitmannschaften mit, wenn es nach Ruanda hineinging oder zu den Flüchtlingscamps am Tanganjikasee.
Später, als ich mich schon ein bisschen auskannte, half ich manchmal beim Fahrdienst aus. Ein Heer von Sekretärinnen, Kriminalisten, Juristen, Diplomaten musste zwischen den wenigen internationalen Flughäfen und Arusha hin – und hergekarrt werden. Der Jakaranda blühte in überbordender Üppigkeit und jeden Morgen waren die Gehsteige und Straßenränder übersät mit seinen blauen, glockenförmigen Blüten. Am Abend saß ich oft mit Kollegen auf der Veranda eines Hotels, wir tranken Four Roses und schauten uns im Fernsehen irgendwelche Sportsendungen an. Irgendwann, während der Rugby-Weltmeisterschaft war das, rief Spears an und erteilte mir den Auftrag, einen Spezialisten für afrikanisches Völkerrecht in Dar es Salaam vom Flughafen abzuholen. Er hieß Ackermann und war ein Professor aus Heidelberg. Es war ungewöhnlich, dass er von Deutschland kommend in Dar es Salaam landete und nicht in Moshi oder wenigstens Nairobi. Und außerdem war ungewöhnlich, dass Spears mir nicht sagen konnte, wohin ich ihn bringen sollte.
Ich machte mich sofort auf den Weg. Es ist nicht ungefährlich, nachts die weite Strecke von Arusha nach Dar es Salaam alleine zu fahren, aber ich war damals ziemlich sorglos und erreichte am späten Vormittag wohlbehalten mein Ziel. Ich fuhr in die Innenstadt, stellte den Wagen in den Schatten, schlenderte durch die Straßen, saß in Cafés herum. Ich hatte noch viel Zeit, bevor Ackermanns Flugzeug landete.
Die Stadt war voller Unruhe. Es waren ungewöhnlich viele Polizisten unterwegs. Ich erfuhr, dass auf Sansibar eine christliche Kirche niedergebrannt worden war, dass es Ausschreitungen zwischen Moslems und Christen gegeben hatte und es wurde vage von Todesopfern gesprochen. Man befürchtete, dass auch hier, auf dem Festland, von den arabischen Vierteln eine Gefahr ausgehen könnte. Gegen halb sechs saß ich wieder im Wagen und war unterwegs aus der Innenstadt heraus zum Flughafen. Das Satellitentelefon klingelte und es war Spears. Er teilte mir nochmals Ackermanns Ankunftszeit mit und fragte nach dem Stand der Dinge. Ich sagte ihm, was ich an Gerüchten und Befürchtungen mitbekommen hatte. Er überlegte ein paar Sekunden, dann seufzte er: „Wir dürfen kein Risiko eingehen, bringen Sie ihn aus der Stadt.“ Ich fragte, wohin, und er: „Da müssen wir uns schnell was einfallen lassen. Was schlagen Sie vor?“ Mir fiel nicht sofort etwas ein und dann sagte ich: „Vielleicht Selous?“
„Selous?“, meinte Spears. „Warum nicht Selous? Ja, das ist sehr gut. Bringen Sie ihn da hin. Und melden Sie sich, wenn Sie angekommen sind.“
Eine Viertelstunde später stand ich vor der Glasfront der Flughafenempfangshalle und sah, wie ein großer schlanker Mann mit zwei Koffern in den Händen, mit langen Schritten, viel zu warm angezogen, eine leichte Jacke noch über der Armbeuge, ungeduldig und verunsichert in der fast leeren Halle auf und ab ging. Offenbar wartete er auf jemanden. Ich trat meine Zigarette in den weichen Teer und stieß die Tür auf. „Professor Ackermann“, rief ich, „suchen Sie mich?“
Ackermann fuhr herum und fragte, nachdem er mich gemustert hatte, ob ich der Fahrer aus Arusha sei. Er fragte mich das auf Englisch und ich sagte, dass wir Deutsch miteinander reden könnten. „Man hätte mir wenigstens Bescheid sagen müssen“, sagte er. Ich hatte zwar keine genaue Vorstellung, was er meinte, aber ich ging davon aus, dass er mit Spears telefoniert hatte.
Als wir beim Auto ankamen und er seine beiden Koffer auf den Rücksitz hob, fragte ich: „Sind Sie schon mal am Rufiji gewesen?“ Mir gefiel die Idee immer besser, zum Selous Nationalpark zu fahren und ein paar Tage in diesem Camp direkt am Ufer des Rufiji zu verbringen. Ich hatte da schon öfter Leute hingefahren, weil manche unserer Fahrgäste, wenn sie ihren Job am Internationalen Gerichtshof erledigt hatten, gerne einen Kurzurlaub anhängten. Man konnte dort Krokodile beobachten und ich hatte mich mit einem der Wildhüter angefreundet.
Ackermann standen Schweißperlen auf der Stirn. Er kam mir jetzt älter vor als vorhin im Licht der Empfangshalle. Ich schätzte ihn auf mindestens sechzig. Als ich ihm die Beifahrertür aufhielt, schaute er mich ärgerlich an und sagte: „Erst einmal einen guten Abend.“ Ich setzte mich hinter das Lenkrad und sagte ebenfalls: „Guten Abend.“ Ich stieß eine Rothman aus der Packung und hielt sie ihm hin. Er wollte nicht. Ich nahm sie mir selber, zündete sie an und startete den Motor. „Worauf warten Sie?“ fragte er, als ich nicht losfuhr.
Es standen nur wenige Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Nebelschwaden zogen durch die Scheinwerferkegel und auf der Windschutzscheibe kondensierte die feuchte Luft – Perlen, die größer wurden, in die Kratzer der Glasscheibe sickerten und das Licht in grelle Strahlen zerbrachen. „Spears hat mich angerufen“, sagte ich und zog lange an der Zigarette.
„Was Sie nicht sagen“, sagte Ackermann.
„Jetzt knöpfen Sie sich erst mal das Hemd auf und trinken einen Schluck“, sagte ich und zog meine Whiskeyflasche aus der Ablage unter dem Lenkrad hervor. Er lehnte ab, aber ich genehmigte mir einen Schluck. Dann sagte ich: „Es hat sich einiges geändert. Wann und ob überhaupt das Meeting in Arusha stattfindet, ist fraglich.“
Ackermann straffte sich: „Wollen Sie damit sagen, ich bin umsonst hierhergekommen?“ Verbittert starrte er auf die Windschutzscheibe, die Lichtsterne ins Wageninnere säte, und hörte dem Scheppern der Gepäckwagen zu, die vom Flughafenpersonal wie verstreute Schafe zusammengetrieben und in einer langen schweren Kolonne zum Empfangsgebäude geschoben wurden.
„Im Kigoma-Gebiet sind mehrere tausend Flüchtlinge angekommen“, sagte ich. „Ihr Gesprächspartner aus dem Ministerium ist nach Ujiji geflogen.“
„Und jetzt?“ Er wandte sich von mir ab und schaute durchs Seitenfenster hinaus in die Dunkelheit. Ich dachte, der ganze Elan, mit dem er zu seiner Arbeit aufgebrochen ist, hängt nun an ihm wie ein viel zu schwerer Motor. „Fahren Sie mich zum Hotel“, sagte er plötzlich. Ich fragte, in welches denn, und er antwortete: „In das natürlich, in dem Sie mir ein Zimmer reserviert haben.“ Ich erzählte ihm von den Unruhen in Dar es Salaam und dass wir nicht vorhätten, hier zu übernachten. Er hatte einen sechsstündigen Flug hinter sich und machte nicht den Eindruck, dass eine Nachtfahrt, wie sie uns jetzt bevorstand, zu den Dingen gehörte, die er sich wünschte. Er sah müde aus, irgen
dwie krank.
„Vielleicht jetzt einen Schluck?“, fragte ich. Ackermann wischte voller Ekel mit seiner Hand über die Flaschenöffnung, warf den Kopf zurück und ließ sich einen warmen Schluck Four Roses in den Mund schwappen. „Also“, sagte ich, „schon mal am Rufiji gewesen?“
„Das haben Sie mich doch schon mal gefragt“, sagte er.
„Da können Sie mal sehen, wie sehr mich das interessiert“, sagte ich.
Der Diesel des Hilux brummte. Ganz selten fuhr noch ein Wagen vorbei. Dann kam der Parkplatzwächter ganz nah heran und schaute durch die heruntergekurbelten Fenster. Als er uns im Wagen sitzen sah, ging er einen Schritt rückwärts und sagte, wir sollten entweder den Parkplatz verlassen oder den Motor abstellen. Ich legte den Gang ein und fuhr los.
„Wohin also?“ fragte Ackermann.
„Zum Rufiji“, sagte ich und fädelte mich in den Verkehr in Richtung City Center ein.
„Können Sie mir bitte erklären, was das Ganze soll?“, fragte er. Ich sagte, dass wir den Wagen wechseln, etwas zum Essen einkaufen und dann zum Selous Game Reserve fahren würden. Er meinte, er sei nicht hierhergekommen, um eine Safari zu machen.
„Schon möglich“, sagte ich, „aber ich habe die Anweisung, Sie zuerst einmal aus der Stadt zu bringen.“
„Wer hat Ihnen diese Anweisung gegeben?“
„Spears. Rufen Sie ihn an.“ Ich zeigte auf das Satellitentelefon. Er hatte aber keine Lust, mit Spears zu telefonieren.
Als wir richtig loskamen, war es schon die zweite Stunde der Nacht. Die Fahrt kam mir endlos vor. Wir redeten kaum. Glücklicherweise war die Straße nach der Regenzeit wieder einigermaßen passierbar. Trotzdem ging es häufig nur im Schritttempo voran. Ackermann versuchte zu schlafen. Manchmal, wenn der schwere Wagen in ein Schlagloch sackte, kippte sein Kopf zwischen den Schultern hin und her, wie bei einem Toten. In der Morgendämmerung erreichten wir den Eingang des Selous Game Reserve. Von dort war es nicht mehr weit bis zum Rufiji River Camp, wo ich uns ein Zelt mietete. Ackermann wollte allein sein, sich umziehen, duschen, schlafen.
Ich streifte durch das Camp und hoffte Mister Mbuki zu treffen, der dort Wildhüter war. Aber ich fand ihn nicht. Ich hockte mich an die Bar, hinter der ein übermüdeter Bursche Gläser polierte. Ich orderte eine Cola und wir redeten ein paar Sätze über die Rugby-Weltmeisterschaft. Dann sah ich Mister Mbuki in seinem Safari-Landrover heranfahren. Ich ließ meine Cola stehen und ging ihm entgegen. Er parkte bei den anderen Jeeps im Schatten eines mächtigen Baobabs. Er erkannte mich sofort und erwartete mich lachend. „Hast du mal wieder Sehnsucht nach deinen Krokodilen?“, fragte er. Wir gaben uns die Hand und ich erzählte ihm ein paar Dinge über meinen Fahrgast und dass ich nicht wüsste, wie lange wir blieben. Er holte eine Flasche Wasser und Zigaretten aus dem Auto. Wir setzten uns auf die Erde, die Rücken an den Stamm des Baumes gelehnt, tranken sein Wasser und meinen Whiskey und unterhielten uns über die Krokodile. Er wusste alles Mögliche über diese Bestien. Er sagte, zurzeit gäbe es so viele, wie er in seinem Leben noch nicht gesehen hätte. Er meinte, das käme von den vielen Toten, die in den Flüssen und Seen herum schwammen. Wir machten eine Fahrt mit dem Flachboot aus. Wir sagten zwei Uhr. Damit meinen sie hier am Äquator die zweite Stunde nach Sonnenuntergang, also zwanzig Uhr. Dann ging ich in unser Zelt.
Ackermann lag auf seinem Bett, schlief aber nicht. Ich sagte ihm, dass wir gegen zwanzig Uhr zu einer Bootsfahrt auf dem Rufiji abgeholt würden. Er sagte: „Wie kommen Sie darauf, dass ich diesen Touristenquatsch mitmachen will?“ Es war Mittag, ich hatte zwei Nächte nicht geschlafen. Aber jetzt schlief ich wie ein Stein.
Ich wurde wach, als mein Wecker klingelte. Sobald ich aus dem Zelt kam, fielen mich die Moskitos an. Ich setzte mich auf die Terrasse des Restaurants und aß ein Ziegensteak. Die Nacht war dunstig und warm. Nach ein paar Minuten kam Ackermann hinzu und fragte, ob ich es ihm empfehlen könnte. Ich spießte ein Stück Fleisch auf die Gabel und hielt es ihm hin. Er wollte nicht probieren und griff missmutig nach der Speisekarte. Als ich gerade fertig war und Ackermanns Essen aufgetragen wurde, erschien Mister Mbuki. Er hatte eine rauschende Benzinlampe in der Hand und ein Gewehr über der Schulter.
Ich fragte Ackermann, ob er seine Meinung geändert habe. Aber er blieb dabei. Er hatte keine Lust. So ging ich allein neben Mister Mbuki hinunter an den Fluss, wo er sein Flachboot hatte. Ich setzte mich in den Bug und nahm das Gewehr. Mbuki kniete sich ins Heck und riss den Motor an, dessen Brüllen alles Fremde, in das wir mit hohem Tempo hinein fuhren, auseinander trieb. Nach einer etwa halbstündigen Fahrt stellte Mbuki den Motor ab und drehte das Licht klein. Jetzt kam die Nacht über uns, mit ihrem fiebernden, millionenfach zirpenden Puls, der die Dunkelheit zu einem weiten Raum dehnte, in dem noch das nicht mehr vorhandene Lärmen des Motors wühlte. Nachdem wir eine Weile in der Strömung gelegen hatten, griff Mbuki zum Paddel, dessen Blatt spitz zulief wie ein lang gezogenes Herz. Er hielt uns gegen die Strömung auf der Stelle, indem er fast völlig geräuschlos das Paddel einmal zur Rechten und einmal zur Linken des Bootes durchs Wasser zog.
Zuerst konnte ich nur zwei schwache rote Lichter erkennen, die auf der Wasseroberfläche tanzten, die verloschen und wieder aufleuchteten. Und plötzlich waren es Dutzende. Mister Mbuki tippte mir auf die Schulter und flüsterte: „Sie sind da. Es sind viele.“ Langsam formierten sie sich zu einem Halbkreis in einer Entfernung von wenigen Schwimmstößen vor unserem Bug. Ich brachte das Gewehr in Anschlag. Mbuki war an mich herangerückt. Beruhigend legte er mir seine Hand auf die Schulter. Unser Boot fing an, in den Halbkreis der Lichter hinein zu fahren. Ich hatte noch nie so viele gesehen. Um uns herum gab es nichts als Dunkelheit und die roten Augen der Krokodile. Es war, wie wenn man an Allerheiligen nachts auf den Friedhof geht und überall die roten Grablichter tanzen. Mir grauste und gleichzeitig fühlte ich mich gedrängt, mich zu ihnen ins Wasser zu stürzen. Schwer und beharrlich lag Mbukis Hand auf meiner Schulter. Am unerträglichsten war es, als wir ihre Linie durchquerten und sie dann im Rücken hatten. Da drehte Mbuki die Lampe hoch und ich sah in sein strahlendes Gesicht. „Hast du sie gesehen?“, fragte er. Er war glücklich, dass er mir einen solchen Anblick hatte bieten können. Aber ich war durch und durch erschüttert und wusste nicht, was ich sagen sollte. Da rüttelte er an meiner Schulter und sagte in einem seltsam eindringlichen Ton: „Sie haben dich gerufen!“
Ich wusste natürlich nicht genau, was er damit meinte, oder was seine Stammesbrüder, die Makonde, darunter verstanden, wenn sie sagten, einer sei von den Krokodilen gerufen worden. Ich wusste nur, dass irgendetwas mich bei meinem Namen genannt hatte, dass irgendetwas mich gemeint hatte und zwar mit einer Deutlichkeit, als wolle es mich aus meinem Fleisch reißen.
Und ich wäre ihm gefolgt, hätte ich nur einen Weg gewusst.
Es war das erste Mal, dass ich dieses Erlebnis hatte. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was es bedeutete.
Als wir zurückkamen, saß Ackermann an der Bar und hatte sich einen angesoffen. Wir setzten uns zu ihm. Er beschwerte sich bei Mister Mbuki über das schlechte Essen und darüber, dass die Kellnerin jede Eleganz vermissen ließ. Ich hatte nicht lange Lust, diesem missgelaunten Burschen Gesellschaft zu leisten, ließ den armen Wildhüter mit dem Professor allein und verzog mich in unser Safarizelt. Es war ein großes, komfortables Zelt mit zwei durch dicke Stoffwände voneinander abgetrennten Schlafkojen. Doch die Tatsache, dass ich mit Ackermann diese Nacht in einem Zelt verbringen würde, erfüllte mich mit einem seltsamen Unbehagen. Trotzdem muss ich bald eingeschlafen sein, jedenfalls merkte ich nicht, wie er ins Zelt kam und sich ebenfalls schlafen legte. In dies
er Nacht hatte ich dann zum ersten Mal diesen geheimnisvollen und schrecklichen Traum, der mich seither immer wieder heimsucht. Es ist ein ganz einfacher Traum. Ich liege auf dem Bett und schlafe. Ich spüre, wie sich etwas meinem Bett nähert. Das, was sich nähert, ist machtvoll und unbestimmt. Es könnte ein Schatten sein, oder eine Energie, die sich materialisiert. Plötzlich wird zur Gewissheit, dass ich es bin, der diesen Schatten wirft. In diesem Moment packt mich die reine Todesangst und ich erwache schreiend.
Du kannst dir sicher vorstellen, wie peinlich mir das war, damals im Rufiji River Camp, als dann Ackermann im Eingang meiner Schlafkoje auftauchte, mit einer Taschenlampe in der Hand, und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich sagte Ja, und er fragte: „Sind Sie sich sicher?“
Ich sagte: „War nur ein Traum. Kann ja wohl mal passieren.“
Dann fragte er mich noch, ob er mir etwas zu trinken besorgen solle. Als er endlich gegangen war, sah ich durch das mit einer Moskitogaze versehene Fenster in der Zeltwand, dass überall auf dem Camp Lichter angegangen waren. Wahrscheinlich lagen da draußen jetzt etliche Leute wach in ihren Betten und überlegten fieberhaft und mit gespitzten Ohren, was für eine Bewandtnis es mit meinem Gebrüll wohl gehabt haben mochte.
Wie dem auch sei, ich schlief bald wieder ein, und als ich am nächsten Morgen zum Frühstück in die Bar gehen wollte und einen Blick in Ackermanns Schlafkoje warf, lag er tot in seinem Bett. Er war eines natürlichen Todes gestorben, an einem Herzinfarkt. Er war schon neunundsechzig gewesen und nicht der Gesündeste. Das ungewohnte Klima, die anstrengende Nachtfahrt und vielleicht auch der Alkohol am Vorabend hatten ihm den Rest gegeben. Obwohl das alles ziemlich bald feststand, wurde mein Gebrüll in der Nacht, das fast alle gehört hatten, mit Ackermanns Tod in Verbindung gebracht. Die Leute dachten, mein Schrei sei Ackermanns Todesschrei gewesen, und wunderten sich über mich, dass ich dabei so ruhig hatte weiterschlafen können.
Mir saß in diesen Tagen eine ungewöhnliche Schwermut in den Knochen. Das Hineingleiten in die Herde der Krokodile, mein Albtraum und schließlich Ackermanns Tod begannen in meinem Kopf zu einem einzigen Geschehen zu verschmelzen, und zwar so, dass es mir schien, Ackermann sei meinen Tod gestorben und ich hätte nun keinen eigenen mehr.